Der gemeine Tourist ist schuld daran, dass Köln noch immer so unglaublich rückständig ist und so viele Autos in Köln fahren. Weil der Tourist einfach mit dem Auto in den Dom hineinfahren will. Außerdem kennt ein Tourist ja Fußgänger- und Radfahrerverkehr gar nicht. Hätten wir mehr davon, würde er die Fußgänger und Radler einfach über den Haufen fahren. Dann ist es doch besser, wir fahren in Köln auch alle mit dem Auto. Das ist in etwa – sinngemäß – die Analyse des Vertreters des Einzelhandels- und Dienstleistungsverbands für den Großraum Köln.
Vorher hat Herr Ruedi Ott geschildert wie man, wenn man klug ist und wenn man dem Willen seiner Einwohner entspricht, Verkehrsplanung für den Menschen entwickeln und realisieren kann. Vierzig Jahre widmete sich Ruedi Ott der Verkehrsplanung der Stadt Zürich, davon 35 Jahre in leitender Tätigkeit, unter anderem als Leiter des Geschäftsbereichs »Mobilität und Verkehr«. Die Stadt Zürich hat zum Beispiel in Ihren Statuten verankert, dass sie den Autoverkehr im Vergleich zu 1990 bis 2025 um 50% reduzieren will. Bisher haben sie schon 25% Reduktion geschafft und das, obwohl die Einwohnerzahl anstieg und daher auch die Mobilität zunahm. Sie wollen in zehn Jahren nur noch 20% Autoverkehr. Ruedi Ott sprach nicht von Visionen sondern von Realisation.
Im Wettbewerb um die lebenswerteste Stadt, um neue Arbeitgeber und Arbeitsplätze hat Zürich erkannt: „Man kommt der Wahrheit schon recht nahe, wenn man behauptet: Der Grad der Freiheit und Ungestörtheit, mit dem Menschen zu Fuß gehen und in die Gegend schauen können, bietet einen guten Maßstab für die Bedeutung der zivilisatorischen Eigenschaften des Stadtgebietes.“ (Colin Buchanan, Traffic in Towns, 1963)
Wenn Planer klug sind und an den Menschen denken, dann entstehen auch gute Lösungen. Ein Beispiel: Zürich hat sich gegen eine U-Bahn entschieden. Die Tram hat immer grüne Welle. Intelligent ist, dass, wenn die Bahn kommt, auch die Fußgänger an den ganzen Kreuzung grün bekommen. So müssen die Fußgänger dann nicht bei rot über die Ampel, um die Bahn zu bekommen.
Dass eine Fußgänger-gerechte Stadt nicht zugeparkt sein kann, versteht sich von selbst. Dem Argument, dass Parkraumbewirtschaftung Geld erlöst, begegnen die klugen Schweizer mit einer umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse: Ein Autofahrer verbraucht 10 mal so viel teuren städtischen Grund wie ein Radfahrer und 20 mal so viel wie ein Fußgänger. Vom Unterhalt für das PKW-Netz ganz zu schweigen.
Überhaupt: Bei nur noch 20 % PKW Verkehr entsteht kaum noch Stau. Und Stau kostet volkswirtschaftlich ein Vermögen. Nur die Dummen setzen auf den Stau und das Auto.
Was Politiker in Köln niemals für möglich halten: Die Züricher haben das so gewollt. Sie haben sich in vielen Volksbefragungen dafür entschieden. Auch wenn die Stadt bestimmte Ziele abschwächen wollte, haben die Einwohner für striktere Vorgaben votiert. Das neueste beschlossene Ziel ist die 2000 Watt pro Person und Jahr – Gesellschaft. Durchschnittlich verbraucht ein Einwohner heute ca. 6000 Watt. Verkehr ist der Hauptenergieverbraucher. Den Verbrauch pro Kopf zu senken, das geht nur mit einem umfassenden neuem Denken und Handeln. Vermutlich ganz ohne Individualverkehr. Das soll bis 2035 passieren.
In Europa prosperieren die Städte. Und Köln?
Köln ist fest in der Hand von IHK und Autofreaks, die noch mehr Straßen bauen wollen. Tatsächlich plant Köln mal wieder eine Geisterfahrt: Der Niehler Gürtel soll ausgebaut werden. Wer will in so einem Asphalt-Köln noch wohnen?
Vielleicht sollte die Stadt in Zukunft nicht mehr Jan Gehl oder Ruedi Ott einladen, sondern die Planer von Hannover und Görlitz (die Städte mit den meisten Verkehrsunfällen 2012, auto.de). Es ist deprimierend zu sehen, wenn Städte wie Zürich oder Kopenhagen längst erkennen und handeln.
Und zum guten Schluss müssen wir den Vertreter des Einzelhandels- und Dienstleistungsverbands auch noch enttäuschen: Köln ist gar nicht die Stadt mit den meisten Touristen auf der Welt. Selbst Zürich hat ungefähr gleich viele Übernachtungen:
– 2,96 Millionen Hotelgäste in Köln 2013 (Quelle)
– 2,91 Million Übernachten in Zürich 2014 (Quelle)
Liebe Kölner, zeigt, dass Ihr klüger seid, als das IHK und Politiker denken. Die Zürcher haben es auch selbst entschieden! Tut was!
Alle Zahlen zu Zürich findet Ihr hier.
Hallo Harald und LeserInnen,
von der Klugheit der KölnerInnen bin ich ja nicht so überzeugt: Obwohl immer mehr Menschen in Köln Fahrrad fahren und vielleicht auch den öPnv nutzen, habe ich den Eindruck, dass immer mehr und immer unverschämt größere Autos (sind das Panzer?) Köln verstopfen. Und selbst Menschen, die sich von den vielen Autos gestört fühlen, sehen keinen Zusammenhang zum eigenen Auto fahren. Man fährt dann mit dem Auto ins Grüne, um dem Auto-Chaos zu entgehen.
Vielleicht sollten sich mal PsychologInnen mit diesem Widerspruch befassen?
Grüße, Andreas