Es ist das Jahr 1991. Bei einem Zyklon in Bangladesch sterben fünfmal mehr Frauen als Männer.
Es ist das Jahr 2003. Von den Toten der Hitzewelle ins Südeuropa sind 60% weiblich.
Es ist das Jahr 2010. Nach dem Erdbeben in Haiti fehlt es in den überfüllten Notlagern an adäquaten Sanitäreinrichtungen und Beleuchtung. Zahlreiche Frauen werden Opfer von nächtlichen Übergriffen und Gewaltverbrechen.
Es ist das Jahr 2015. Eine Studie in Myanmar zeigt, dass Frauen und Mädchen aufgrund eines geringeren Zugang zu Ressourcen länger und stärker unter den Folgen des Tropensturms Nargis litten.
Diese Aufzählung könnte noch ewig weitergehen, aber ich denke, es ist ersichtlich geworden, was ich mit ihnen zeigen will: Die Klimakrise ist eine intersektionelle Krise. Wer Klimagerechtigkeit will, muss Diskriminierung mitdenken.
Was ist eigentlich Intersektionalität?
Das Konzept der Intersektionalität wurde unter anderem von der Schwarzen Juristin Kimberlé Crenshaw als Kritik an der weißen feministischen Bewegung ausgearbeitet, in der die spezifischen Lebensrealitäten und Diskriminierungserfahrungen Schwarzer Frauen lange nicht beachtet oder ausgeblendet wurden. Es besagt, dass verschiedene Formen der Diskriminierung – Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Antimuslimischer Rassismus, Antifeminismus, Homophobie, Transphobie, Behindertenfeindlichkeit/Ableismus und Disablismus, Altersdiskriminierung oder Klassismus – nicht voneinander isoliert existieren, sondern ineinandergreifen und sich summieren. So erlebt eine Schwarze Frau nicht „nur“ Diskriminierung als Schwarze und als Frau, sondern eben auch als Schwarze Frau; genauso erlebt ein homosexueller Obdachloser Diskriminierung, die ein heterosexueller Obdachloser oder ein Homosexueller mit festem Wohnsitz nicht erfahren würde.
Die Klimakrise verschärft Formen der Diskriminierung – sie betrifft Menschen im Globalen Süden stärker als Menschen im Globalen Norden, sie belastet einkommensschwache Menschen stärker als Multimillionäre, und sie betrifft FLINT*-Personen stärker als Männer.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen bei Naturkatastrophen ums Leben kommen, liegt um ein Vielfaches höher als bei Männern.“ – Europäisches Parlament, Bericht über Frauen, die Gleichstellung der Geschlechter und Klimagerechtigkeit, 2017
Ausschlaggebend für geschlechtsspezifische Klimaverwundbarkeit ist das gesellschaftlich konstruierte soziale Geschlecht. Frauen wird in patriarchalen Gesellschaften passives, emotionales und irrationales Verhalten zugeschrieben, zugleich wird die Frau als „fürsorgende Mutter“ konstituiert, die einen Großteil der (unbezahlten) Care- und Reproduktionsarbeit übernimmt. Geschlechtliche Arbeitsteilung und geschlechterungleiche Ressourcenzugänge sind also ein entscheidender Verwundbarkeitsfaktor..
FLINT*-Personen fliehen anders als Männer
Eine Studie der London School of Economics, die die Todesfälle infolge von Extremwetterereignissen zwischen 1981 und 2002 nach den Kriterien „Geschlecht“ und „Sozialer Status“ untersucht, zeigt, dass die Zahl der Todesfälle von Frauen deutlich höher liegt als die von Männern. In Gegenden, in denen soziale Ungleichheiten wie ökonomische Situation und gesellschaftliche Stellung besonders markant sind, zeigt sich die ungleiche Sterberate noch einmal deutlicher.
Begründet liegen die höheren Sterberaten unter anderem in den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Flucht. Im Falle plötzlich auftretender Extremwetterereignisse wie beispielsweise Tsunamis spielen drei Faktoren eine Rolle: Mobilität, die Abwägung von Gefahren und die Verantwortung für Kinder oder Pflegebedürftige.
Vor allem in den Ländern des globalen Südens stehen Frauen für gewöhnlich weniger Mittel der Mobilität zur Verfügung, so wird die höhere Sterberate von Frauen bei Flutkatastrophen unter anderem dadurch erklärt, dass viele von ihnen nie gelernt haben, zu schwimmen, und keine motorisierten Fahrzeuge besitzen.
Ein schlechterer Zugang zu gesicherten Informationen zur Risikobewertung erschwert die Entscheidung über eine Flucht weiter. Zugleich sind FLINT*-Personen während der Flucht und in Geflüchtetenunterkünften oftmals sexualisierter Gewalt ausgesetzt.
Der dritte Faktor, der FLINT*-Personen die Flucht erschwert, ist die Verantwortung für die Care-Arbeit. Durch ihre Verantwortung für Kinder und pflegebedürftige Personen sind sie enger an diese gebunden, eine individuelle Flucht erscheint so weniger legitim.
Bislang gibt es keine Studien zur Situation nicht cis-weiblicher FLINT*-Personen im globalen Süden. In westlichen Ländern gaben jedoch 19% der trans*Menschen an, schon einmal obdachlos gewesen zu sein, eine Zahl, die in den Ländern des Globalen Südens vermutlich noch einmal deutlich höher liegt. Auch dies bedingt die höhere Klimaverwundbarkeit von FLINT*-Personen.
Klimawandelfolgen treffen Frauen anders als Männer
Geschlechtsspezifische Verwundbarkeit ist jedoch kein ausschließliches Phänomen des Globalen Südens, auch im Globalen Norden sind Frauen stärker von den Folgen betroffen als Männer.
Während der Hitzewelle 2003 in Südeuropa war die Geschlechterverteilung der Todesfälle zwar ausgeglichen, jedoch waren an den heißesten Tagen 60% der Toten weiblich. Dies liegt unter anderem daran begründet, dass Frauen im Durchschnitt schlechter verdienen und somit einkommensbedingt häufiger in Stadtteilen mit höherer Hitzebelastung leben. Insbesondere Seniorinnen können sich klimawandelresistentere Wohnlagen mit besserer Durchlüftung, kühlender Architektur und geringerer Bebauungsdichte, die in allen Städten zu den teuersten Wohnlagen zählen, nicht leisten. Zudem leben sie sehr viel häufiger alleine und haben somit keinen schnellen Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Aber auch die Folgen des Klimawandels, die nicht direkt lebensbedrohlich sind, treffen FLINT-Personen härter.
Infolge von Epidemien, Hitzewellen oder Überschwemmungen steigt das Maß an unbezahlten Care-Arbeiten, die FLINT*-Personen z.B. in der Krankenpflege leisten müssen.
Auf dem afrikanischen Kontinent sind FLINT*-Personen verantwortlich für die Produktion von über 90% der Grundnahrungsmittel. Vor allem infolge langer Hitzeperioden steigt der zusätzliche Arbeitsaufwand für die Wasser- und Energieversorgung, so müssen beispielsweise längere Wege zu Wasserstellen zurückgelegt werden. Gleichzeitig verfügen FLINT*-Personen oft nicht über die finanziellen Ressourcen oder die Entscheidungsgewalt, Produktion und Arbeitsweisen an den Klimawandel anzupassen.
Noch gibt es keine konkreten Studien dazu, inwiefern die Corona-Pandemie die Situation von FLINT*-Personen im Globalen Süden verschlechtert, Zahlen aus Deutschland zeigen aber, dass die Menge an unbezahlten Care-Arbeiten deutlich gestiegen ist.
Die Corona-Pandemie verschlechtert die Situation von FLINT*-Personen
Im Jahr 2019 versuchte in Deutschland durchschnittlich an jedem einzelnen Tag ein Partner oder Ex-Partner eine Frau umzubringen. An jedem dritten Tag wurde eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.
Alle 33 Minuten registriert die Polizei eine Frau, die Opfer einer vollendeten oder versuchten gefährlichen oder schweren Körperverletzung in ihrem häuslichen Umfeld wurde. In dieser Statistik findet sexuelle Belästigung, die FLINT*-Personen tagtäglich im öffentlichen Raum erleben – sei es Catcalling, sexuell übergriffiges Verhalten, oder auch ungewollte und unaufgeforderte Avancen – noch keine Berücksichtigung.
Bereits vor der Pandemie waren 81% der Opfer häuslicher Gewalt weiblich. Der Lockdown verschärft diese Situation noch: Die Organisation „Weißer Ring“ verzeichnete etwa 10 % mehr Opfer häuslicher Gewalt, die bei ihnen Hilfe suchen.
Neun von zehn Alleinerziehenden in Deutschland sind weiblich. Oftmals waren diese schon vor der Pandemie in prekären Situationen, diese haben sich durch die pandemiebedingte Doppelbelastung jedoch weiter verschlechtert. Psychater*innen und Psychotherapeut*innen berichten, dass 92 % ihrer alleinerziehenden Patient*innen in der Corona-Krise stärkere Symptome ihrer jeweiligen psychischen Probleme beziehungsweise Krankheiten entwickelten.
In der Alten- und Krankenpflege, einem Sektor, der seit Jahren chronisch überlastet und unterbezahlt ist, arbeiten zu 83% Frauen.
FLINT*-Personen sind noch immer nicht in angemessenem Verhältnis an Entscheidungsprozessen beteiligt
Egal ob im deutschen Bundestag (31%), bei den UN-Klimakonferenzen (38%) bzw. den Leitungen der einzelnen Delegationen (27%), in Führungspositionen deutscher DAX-Unternehmen (14%) oder im Kölner Stadtrat (41%) – dafür, dass Frauen etwa 50% der Weltbevölkerung ausmachen, sind diese immer noch kontinuierlich unterrepräsentiert. Erst kürzlich gelang es der Stadt Köln, ihr selbst gestecktes Ziel einer Frauenquote von 40% in den Aufsichtsräten städtischer Unternehmen zu verpassen.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die „Gläserne Decke“ und homosoziale Kooptation, oder auch eine sozialisationsbedingt stärkere Neigung zum Imposter-Syndrom.
Studien belegen, dass Frauen im Durchschnitt einen geringeren ökologischen Fußabdruck besitzen als Männer – was auf stereotype Bilder von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ zurückgeführt werden kann – und vor allem in den Ländern des Globalen Südens als treibende Kraft für Veränderung wirken. Als Verantwortliche für Care-Arbeiten, Nahrungsmittelversorgung und Haushaltseinkommen entwickeln sie andere Bewältigungsmechanismen und Anpassungsstrategien an die (durch den Klimawandel bedingten) Veränderungen der Umwelt. Diese Perspektiven sollen und müssen Gehör finden. Ein starker Anteil an Frauen in Entscheidungs-und Führungspositionen führt nicht nur zu kreativeren und pluralistischeren Lösungsansätzen, sondern ist zusätzlich ein empowerndes Signal für Frauen und Mädchen weltweit.
Dezentrale Demos im ganz Köln
Um gegen Sexismus und Diskriminierung und für mehr Gleichberechtigung zu protestieren und gleichzeitig ein Zeichen für die kommende Bundestagswahl zu setzen, finden heute, am 8. März, dezentrale Demonstrationen des Bündnis 8M statt:
- Kalk Post: 11-15 Uhr, „Streikcafé“(Feministischer Streik Köln)
- Kalk Kapelle: 14-17 Uhr „Leben von Luft und Liebe“ Künstlerisches Happening (AK Fair Art & practice/And she was like BÄM)
- Chlodwigplatz: 14-17 Uhr, Aktion und Rallye zu Reproduktiver Gerechtigkeit (Interventionistische Linke Köln, SoliMed Köln, Pro Familia in Action, Wütende Freundinnen für Reproduktive Gerechtigkeit)
- Nippes, Wilhelmplatz: 15-17 Uhr Kundgebung und Mahnwache „Gemeinsam sind wir stark!“ (LILA Köln, Frauen gegen Erwerbslosigkeit)
- Alter Markt, 15 – 18 Uhr: Mahnwache Klimagerechtigkeit (FFF Köln, SFF Köln)
- Bahnhof Mülheim: 16.30-18.30 Uhr „Platz für Sorge“ Platzumbenennung für Sorge-Arbeit (Antifa AK, K2 Köln, Kritische Medizin Köln, Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen)
- Ehrenfeld, Bartonia Forum: 16-18 Uhr, „Sexismus hat System“ ROSA-Aktion (ROSA)
- Wiener Platz: 17-19 Uhr, (Demonstration des antirassistischen und internationalen Blocks
- Digitale Ausstellung zu Queer sein am 8. März (Weitere Infos findet ihr beim [ku:], LGBT*Referat TH Köln, Kritische Medizin Köln)
- Rudolfplatz, 19 – 21 Uhr: Abschlusskundgebung mit allen involvierten Gruppen
[* Alle hier aufgeführten Studien gehen von einem binären Geschlechtersystem aus und haben daher keine Aussagekraft bezüglich nichtbinärer Geschlechtsidentitäten.]
Obwohl der Internationale Feministische Kampftag medial oft als „Internationaler Frauentag“ bezeichnet wird, verwenden wir den Begriff „feministischer Kampftag“, um Menschen einzuschließen, die von patriarchalen Strukturen diskriminiert werden, aber nicht cis-weiblich sind.
FLINT*: Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche Personen, Nicht-binäre Geschlechter und Trans-Personen. Der Begriff umfasst alle Menschen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität durch patriarchale Strukturen diskriminiert werden.
Schwarz wird als politische Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen groß geschrieben.
Cis-Personen sind Menschen, die sich mit dem Ihnen bei der Geburt zugeschriebenen Geschlechtsidentität identifizieren können.
Homosoziale Kooptation bezeichnet „das Phänomen, dass man sich überwiegend gerne mit Menschen umgibt, die einem selbst ähnlich sind. […] Das Konzept der Homosozialität wird auch in der Organisationspsychologie aufgegriffen: Homosozialität ist ein Erklärungsansatz für die Benachteiligung von Frauen im Berufsleben, da häufig Männer die Personalentscheidungen auf Führungsebene treffen und dabei aus homosozialen Gründen bevorzugt Männer auswählen. Sich mit Menschen zu umgeben, die einem tendenziell ähnlich sind, reduziert die Komplexität von Situationen und steigert das Vertrauen: „Homosozialität, also die Gleichheit der Mitglieder, ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Man hat Vertrauen in diejenigen, die einem gleich sind, weil man davon ausgeht, dass man mit denen ‚besser kann als mit den anderen‘; dass man mit ihnen die eigenen Ziele besser durchsetzen und die eigene Organisationskultur besser aufrecht erhalten kann als mit anderen.“ (Michael Meuser: Gleichstellung auf dem Prüfstand). Homosozialität führt bei Personalentscheidungen – auf Grundlage des subjektiven Charakters der Entscheidung – zwangsläufig zu suboptimalen Lösungen. Da die Entscheidungsträger in Unternehmen überwiegend männlich sind, kann der Effekt zur Benachteiligung von weiblichem Personal führen.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Homosozialität
Gläserne Decke „ist eine Metapher für das Phänomen, dass Angehörige einer bestimmten Bevölkerungsgruppe nicht in politische oder ökonomische Führungspositionen aufzusteigen vermögen.
Im engeren Sinne benutzt man den Ausdruck heute meist in Hinblick auf den Umstand, dass qualifizierte Frauen kaum in die Top-Positionen in Unternehmen oder Organisationen vordringen und spätestens auf der Ebene des mittleren Managements „hängenbleiben“. Es wird angenommen, dass derartige Glass-Ceiling-Effekte durch eine Reihe von Hindernissen zustande kommen und verstärkt werden, so etwa Stereotype und Vorurteile hinsichtlich der Eignung von Frauen in Führungspositionen, ein auf Männer abgestimmtes Unternehmensklima sowie mangelnden Zugang zu informellen Netzwerken.Diese Hindernisse sind häufig mit den Organisationsstrukturen untrennbar verwoben und somit schwer erkennbar, daher die Metapher einer unsichtbaren Aufstiegsbarriere, also einer gläsernen Decke.
Seit den 1980er-Jahren sind zu diesem Phänomen international zahlreiche wissenschaftliche Studien erschienen, sowohl von Wirtschaftswissenschaftlern als auch von Soziologen. Im weiteren Sinne spricht man auch von „gläserner Decke“ im Hinblick auf die eingeschränkten Aufstiegschancen von Homosexuellen, ethnischen und anderen Minderheiten.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Gläserne_Decke
Catcalling „bezeichnet eine Art der Belästigung durch Fremde im öffentlichen Raum in Form von unerwünschten Äußerungen gegenüber Personen, die als Objekt der Begierde wahrgenommen und auserkoren werden. Oft begleitet von provokativen Gesten, Hupen, Pfiffen, unsittlichen Entblößungen, Stalking, hartnäckigen sexuellen Annäherungsversuchen und Berührungen.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Catcalling
Quellen:
https://www.unwomen.de/informieren/klima-und-gender.html
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/409010/umfrage/frauenanteil-in-dax-vorstaenden/
https://www.dw.com/de/gewalt-gegen-frauen-mehr-femizide-in-deutschland/a-55562981
Autor*innen:
Ratsgruppe KLIMA FREUNDE + Team
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