Die letzten Wochen am Hambacher Wald waren turbulent. Letzte Wochenende wurde der Spaziergang nicht in den Wald gelassen. Wie sieht es denn dort jetzt mittlerweile aus? Am Samstag, 22.09. haben wir uns aufgemacht um uns vor Ort selber ein Bild zu machen.
Nach zwei Polizeikontrollen mit Taschendurchsuchung haben wir es in den Wald geschafft. Mit vielen anderen Menschen, die heute hier unterwegs sind. Manche haben Konserven dabei. Die dürfen nicht mit rein. Neben mir wird jemandem ein Glas abgenommen. Pesto Rosso. Es muss draußen warten, wenn er geht, darf es wieder abholen. Vom Kieswerk geht es in den Wald. Der Weg ist freigeschnitten. Ich erinnere mich, letztes Jahr war dieser Weg noch zugewachsen. Aber keine tiefen Reifenspuren. Hier war noch kein Räumpanzer. Das Baumhaus rechts vom Weg ist noch da. Die Siedlung Kleingartenverein ist noch intakt. Die Stimmung ist friedlich, auch wenn am Rand überall Polizei steht, die heute aber auch einen entspannten Eindruck macht. Selten habe ich mir den Wald so intensiv angeschaut wie heute. Möchte alle Eindrücke mitnehmen, einatmen, in mir speichern. Wer weiß, ob ich noch mal so durch diesen Wald spazieren werde.
Wir kommen an die Kreuzung im Wald, wo einst der große Tripod war. Jesus Point. Reste der Barrikade liegen am Waldrand, ein kaputtes Fahrrad, Äste, ein zerrissenes Transparent. Wir gehen nach links. Parallel im Wald durchs Unterholz laufen Polizisten, quer durch den Wald, behelmt und mit Schutzschildern. Ein paradoxes Bild, sonst ist doch alles so ruhig ist. Wir kommen zum Abzweig nach Beechtown. Der kleine Pfad ist noch da, doch daneben frisch planiert ein breiter Weg. Dicke Reifenspuren von schwerem Gerät. Aufgeschütteter Boden, ein Fremdkörper, sandig, rötlich. So anders als der Waldboden.
Beechtown. Viele Menschen und Stille. Schweigen. Die Baumhäuser, hier besonders schön, Kunstwerke, unberührt. Dazwischen die Holzstege. Und ganz weit oben, der sehr hohe Monopod mit der Flagge, die im Wind weht. Die Gedenkstätte „Möge deine Seele für immer in einem schönen Wald ruhen“ steht dort. Kerzen, Sonnenblumen, Texte, Erinnerungen. Es ist sehr ruhig. Die Menschen stehen, sitzen auf dem Boden oder auf liegenden Bäumen. Und schweigen, manchmal ein Flüstern. Als oben jemand über die Holzstege geht, ein lautes Knarzen. Erschrockene Blicke nach oben. Polizei ist kaum vor Ort. In der Ferne Stimmengewirr. Die Menschen ziehen weiter. Richtung Lorien. Wir auch.
Und auf einmal ist wieder alles anders. Hambi-Gefühl. Barrikaden versperren den Weg. Plakate, Transparente Hängen in den Bäumen. Ein Tripod, ein Monopod. Durch ein undurchschaubares Seilgebilde miteinander verbunden. Dahinter Polizisten. Viele von ihnen. Die weißen Helme leuchten durch den Wald, an diesem regnerischen Samstag.
Lorien. Wir nehmen den kleinen Pfad an den Barrikaden vorbei in den „Ort“. Eigentlich nur ein paar Plattformen und Baumhäuser. Heute: Ein unglaubliches Gewusel. Menschen, Zelte. Planen werden aufgespannt gegen den Regen. Es wird gekocht, geschnippelt, geplant. Die Tafel „Agentur für Widerstand“ ist das ToDo-Brett mit den Aufgaben, was erledigt werden soll. Die Stimmung ist geschäftig, aber nicht unbesorgt. Es gibt Kartoffeln für alle. Die behelmte Hundertschaft ist nah. Und hier ist man auch dem großen Loch nicht fern. Das Geräusch des fressenden Baggers surrt stetig im Hintergrund. Trotzdem ist die Stimmung gut, kämpferisch und hoffnungsvoll. Der Wald ist hier dicht und der Regen kommt kaum durch das Blätterdach.
Wir machen uns auf. Wollen zur anderen Seite des Waldes. Da wo früher das Zentrum des Widerstands war. Kein Zufall, dass sie die Räumung ausgerechnet dort begonnen haben. Der Weg durch den Wald ist nun gute sechs Meter breit. Der Regen ist stärker geworden und die schützende Äste fehlen hier. Wir hören ein johlen aus Lorien. Trotzdem gehen wir mit einem Funken Hoffnung im Herzen. So schnell gibt hier niemand auf.
Gallien. Vor 13 Tagen waren wir das letzte Mal hier. Seitdem ist Gallien verschwunden. Baumstümpfe, die gefällten Bäume sind weggeräumt. Halbe Bäume, wo einst der Gallientower war. Zerrissene Transparente hängen noch oben. Nicht mehr lesbar. Was mal eine Baumhauseinrichtung war, liegt teilweise seit dem Abriss als Müll auf dem Boden. Und oben, sehr weit an einem abgebrochenen Ast hängt ein roter Schlafsack. Gespenstisch weht er leicht im Wind hin und her.
Der Weg nach Oaktown ist schwer auszumachen. Wir fragen andere Menschen und erahnen dann denn Pfad.
Oaktown – unfassbar.
Hier wurde richtig gerodet, eine riesige Lichtung ist entstanden. Baumstümpfe großer Bäume, die Erde aufgewühlt mit riesigen Reifenspuren. Reste von Essensverpackungen, Paletten, Glasscherben liegen verstreut auf dem Waldboden. Näher zur Secu-Straße noch viele Reste eines Baumhauses. Vermutlich Fuchur. Oben abgebrochene Äste am Baum, unten ein Meer aus Baumhausresten. Eine Bratpfanne liegt dort. Ungespült. Es gab Kichererbsen. Ein aufgeschlagenes Buch, leicht zerknüllt – die Päpstin. Besteck – ein Messer. Und viel Baummaterial. Es schmerzt einfach nur. Wir trauen uns kaum noch oben zu schauen, wo vor zwei Wochen Aktivistis über uns über die Traversen liefen und die schönen Baumhäuser von unten zu sehen waren, ist jetzt nur grauer Himmel.
Aber Oaktown ist nicht geschlagen, nur im Exil. Keiner hört hier auf.
Wir gehen zur Secu-Straße. Heute ist dort wenig Polizei. Seit langem zum ersten Mal laufen wir diesen Weg zurück. Der Fußweg ist zugewachsen. Die Natur holt sich schnell ihr Gebiet zurück. Ein Journalist aus Frankreich ist gerade angekommen. Fragt uns nach dem Weg, wo er hin soll. Wir schicken ihn nach Lorien. Und danken, dass er da ist. Hambi ist international bekannt geworden.
Kurz vor der Kreuzung mit der Landstrasse. Treffen wir eine Frau mit ihrem Sohn: „Wo ist denn hier der Hambacher Forst? Wir möchten uns den Wald angucken!“ Immer mehr Menschen zieht es dort hin.
#hambibleibt. Selbst wenn RWE das Unfassbare tun sollte. In unseren Herzen bleibt er. Und der Widerstand wird sich dadurch nicht brechen lassen. Bleiben wir unbequem!
Edit:
Seitdem ist viel passiert. Am Sonntag (23.09.) fand wieder ein Waldspaziergang mit über 8.000 Menschen statt, trotz Dauerregens und Anfahrtsbehinderung durch spontane Bahnausfälle.
Und am Montag gingen die Räumungen einfach weiter. Beechtown wurde geräumt, Kleingartenverein ebenfalls, Lorien ist in Räumung.
Aber der Widerstand – der bleibt.
- Kleingartenverein
- Kleingartenverein
- Kleingartenverein
- ehemals Gallien
- sonntags im Wald
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- ein Ort des Gedenkens
- Impressionen
- Noch gibt es §11…
- Ein Stück Wald, noch nicht verwüstet durch Polizei und RWE
[Die Fotos stammen vom Sonntag (23.09.).]
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