Ein Beitrag von unserem Gastautor Frank Barknecht
- September 2013: Kreuzung Friedrich-Karl-Straße/Amsterdamer Straße: Ein Transporter überrollt beim Abbiegen eine Radfahrerin
- August 2012: Kreuzung Richard-Wagner-Str./Moltkestraße: Eine Radlerin wird von einem Lkw beim Abbiegen erfasst, sie überlebt den Unfall nicht.
- Beide Kreuzungen sind Ampelkreuzungen.
Abbiegeunfälle lassen sich verhindern
Abbiegeunfälle dieser Art sind die schlimmsten Unfälle, die man sich als Radfahrer vorstellen kann. Sie führen zu schwersten Verletzungen, enden häufig sogar tödlich. Doch warum geschehen sie auch an signalgeregelten Kreuzungen? Sollten Ampeln nicht Unfälle verhindern? Es gibt eine Lösung, die Abbiegeunfälle an Ampelkreuzungen praktisch ausschließen kann: das sogenannte Rundum-Grün für Radfahrer.
Dahinter steckt folgende Idee: Wenn Radfahrer und Autos nicht gleichzeitig in die Kreuzung einfahren, kann auch kein Radfahrer mehr von einem Auto überrollt werden. Erreicht wird das, indem man die Grünphase für Kraftfahrzeuge von der Grünphase für Radler entkoppelt. Haben Radler Grün, dann hat der motorisierte Verkehr (MIV) Rot und nur die Radler dürfen fahren. Während ihrer Grünphase fahren alle Radfahrer aus allen Richtungen zugleich. Beim sogenannten Diagonal-Grün queren zur gleichen Zeit auch Linksabbieger den Knotenpunkt diagonal.
Angst vor Kollisionen zwischen Radlern muss dabei niemand haben. In den Niederlanden zählt Rundum-Diagonal-Grün unter dem Namen „Alle Fietsers Tegelijkertijd Groen“ (AFTG) seit Jahren zum Standardrepertoire der Straßenplaner. Hier hat sich gezeigt, dass Radfahrer nicht zusammenstoßen, weil sich ihre Wege zu unterschiedlichen Zeiten überschneiden. Wenn der Linksabbieger die gegenüberliegende Seite erreicht hat, sind die von dort kommenden Geradeausfahrer längst schon weg. Auch zwischen entgegenkommenden Linksabbiegern gibt es keine Konflikte, weil beide in einer lang gezogenen Kurve fahren und den geometrischen Kreuzungsmittelpunkt gar nicht treffen. Und mal ehrlich: Seit Jahren gelingt es Radfahrern relativ gut, auf viel zu schmalen Zweirichtungswegen aneinander vorbei zu fahren, da wird eine Kreuzung, die für den MIV ausgelegt ist, ihnen keine Probleme bereiten. Und selbst wenn es mal zu Remplern kommt, dann rempeln immer noch Radfahrer untereinander und es geht nicht auf Leben und Tod – wie beim verlorenen Kampf gegen einen Lkw.
Kann das wirklich klappen?
Kritiker mögen einwenden, dass sich mit dem Rundum- und Diagonal-Grün die Ampelphasen verlängern und es zu größeren Staus vor den Ampel kommt. Diese Sorge ist in der Praxis unbegründet, auch das zeigen die Erfahrungen in den Niederlanden. Vielmehr seien die Wartezeiten oft „auffallend kurz“, stellte der Fietsberaad schon 2003 fest. Denn zum einen können Radfahrer doppelt so oft Grün bekommen wie Autofahrer, wenn sie nach jeder der beiden Kfz-Grünphasen einmal drankommen. Ihre Wartezeit wird also halbiert, sodass auch der Druck sinkt, bei Rot loszufahren, wenn man es eilig hat.
Autofahrer wiederum kommen zügiger durch die Kreuzung, da ihnen keine Radfahrer im Weg sind, die sie zunächst durchlassen oder überholen müssten. Ihre Grünphase könnte also kürzer werden. Am Ende muss die gesamte Umlaufzeit einer Ampel nicht oder zumindest nicht stark ansteigen.
Fußgänger und Radfahrer gemeinsam
Nicht nur Radfahrer, auch Fußgänger werden immer wieder Opfer von abbiegenden Kraftfahrzeugen. Deshalb wird auch in Köln bereits mit Rundum-Grün experimentiert. So wurde 2012 die Ampelanlage Mengenicher Straße/Schulstraße auf Rundum-Grün für Fußgänger geschaltet, um einen Schulweg abzusichern. Auch auf der Neusser Straße in Nippes gibt es eine Diagonal-Grün-Schaltung für Fußgänger. Eine Untersuchung der Unfallforscher der Versicherer (UDV) ergab dabei: Abbiegeunfälle zwischen Kraftfahrern und Fußgängern kommen bei Rundum-Grün nicht mehr vor!
Das Rundum-Grün nur für Fußgänger ist allerdings auch kritisch zu sehen. Denn einerseits bleibt die Gefahr für Radfahrer weiterhin bestehen. Aber schlimmer noch: Wenn Fußgänger Rot haben, könnte ein Autofahrer glauben, auch Radfahrer hätten Rot – schließlich gehören die beiden ja irgendwie zusammen auf den Bürgersteig. Zudem, das kann man in Nippes immer wieder beobachten, mogeln sich Radfahrer in Eile ohnehin auch bei der Fußgänger-Grünphase durch. Das bemängelt auch die UDV, die allerdings nicht von häufigeren Unfällen zwischenb Radfahrern und Fußgängern berichtet. Es scheint, dass diese Rotlichtverstöße der Radfahrer höchstens moralisch verwerflich sind, aber de facto keine Unfälle nach sich ziehen.
Rundum-Grün sollte also für Radfahrer und Fußgänger gleichzeitig gelten, die diagonale Querung allerdings eher nur für Radler. Anderes würde zu Konflikten zwischen Radfahrern und Fußgängern führen und wahrscheinlich die Umlaufzeit der Ampel verlängern, da Fußgänger für den weiten Weg quer über die Kreuzung zu lange benötigen. Abbiegeunfälle zwischen Fußgängern und Kraftfahrzeugen sind auch bei reinem Rundum-Grün ohne Diagonal-Querung ausgeschlossen.
Wie passt das ins Radverkehrskonzept Innenstadt?
Zurzeit wird im Rahmen einer Bürgerbeteiligung ein Radverkehrskonzept für die Innenstadt entwickelt. Einer der häufig geäußerten Bürgerinnen-Wünsche dabei ist die „fahrradfreundliche Ampelschaltung“. Rundum-Grün ist wohl die freundlichste Ampelschaltung, die man sich denken kann. Es ist sicher und schnell, egal in welche Richtung man will. Was es nicht ist, ist billig: Natürlich müssten dafür neue Ampeln aufgestellt werden. Auch kann man nicht einfach die Radwege vor einer Kreuzung enden lassen, wie es zum Teil in den Planungen für das Radverkehrskonzept angedacht ist. Stattdessen müssen Radverkehr und Kfz-Verkehr an den Knotenpunkten entflochten werden. Radfahrstreifen müssten auf eine deutlich abgetrennte Spur mit eigener Ampel geführt werden, auch ist für ausreichend Warteplatz zu sorgen. Dafür kann Rundum-Grün auch Kreuzungen sichern, an denen separierte Radwege vorhanden sind und wo sie wegen des hohen MIV-Aufkommens auch erhalten bleiben müssen – zum Beispiel die Innere Kanalstraße.
Zu glauben, dass man einfach nur den Radstreifen breiter machen und Radwege abschaffen muss, um Abbiegeunfälle zu verhinden, kann ein tödlicher Irrtum sein. Wenn man es aber ernst meint mit einem Radverkehrskonzept, dann sollte man zur Vermeidung tödlicher Unfälle auch Geld in die Hand nehmen. Wenn nicht dafür, wofür dann sonst?
Rundum-Grün zeigt: An Ampelkreuzungen muss es keine Abbiegeunfälle geben. Kommen sie dennoch vor und kommen sie wiederholt an derselben Stelle vor, sitzt der Schuldige vielleicht nicht hinter dem Steuer, sondern an einem Schreibtisch.
Rundum-Grün ist eine seit Jahren erprobte Maßnahme. Sie macht Ampelkreuzungen sicher, attraktiv und verständlich – und sie schützt Menschenleben.
Neulich hatte ich einen Traum: Ich radle von Süden, von der Uni kommend auf der Inneren Kanalstraße und will links in die Venloer biegen. Meine Radampel zeigt Grün und ich fahre diagonal quer über die Kreuzung auf die Moschee zu und von dort weiter in die Venloer. Nur geträumt?
Weitere Links zum Thema „Rundum-Grün“:
David Hembrow: The best traffic light solution for cyclists.Simultaneous Green scales to almost any size of junction. Safe, convenient. Dieser Blog ist rundum zu empfehlen!
Video einer zehnspurigen Rundum-Grün-Kreuzung in Groningen:
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